Neuraltherapie

die diagnostische und therapeutische Lokalanästhesie

Seit der Entwicklung der Spritze und der Hohlnadel bzw. Kanüle im 19. Jahrhundert kann man gezielt medizinische Wirkstoffe in den Körper einbringen. Die Entdeckung der betäubenden Wirkung von Coca-Blättern sowie die pharmazeutische Entwicklung des Novocains mit dem Wirkstoff Procain Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland stellt den Anfang der gezielten örtlichen Betäubung bei Operationen bzw. Schmerzen sowie beschleunigten Heilung bei Wund- u.a. Entzündungen dar (daher der Begriff „Heilanästhesie“).

Durch die weitere Entwicklung von örtlichen Betäubungsmitteln bzw. Lokalanästhetika wie Lidocain, Mepivacain u.a. konnten diese Effekte v.a. bei geplanten Operationen bzw. Schmerzen aller Art verlängert werden. Aufgrund der zunächst erklärbaren Wirkung über das Nervensystem ähnlich der Akupunktur verbreitete sich der Begriff der Neuraltherapie. Da die Brüder Drs Ferdinand und Walter Huneke wiederholt Effekte im Augenblick der Injektion am Ort einer Störung (z.B. eine Narbe) an anderen Stellen des Körpers (deutlicher als bei der Akupunktur) Fernwirkungen dokumentieren konnten, wurde in Deutschland die Neuraltherapie nach Huneke benannt.

Die Wirkung der Lokalanästhetika auf Nozizeptoren, periphere Nerven, das Reizleitungssystem des Herzens sowie die Durchblutung wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts zunehmend publiziert und in zahlreichen Ländern klinisch als Injektions- und Infusionstherapie genutzt. Aufgrund der Teilung Deutschlands wurden 1958 die erste internationale Gesellschaft für Neuraltherapie nach Huneke und nach der Wiedervereinigung eine aus einer seit den 70er Jahren tätigen Arbeitsgruppe für Akupunktur und Neuraltherapie hervorgegangene Deutsche Gesellschaft für Akupunktur und Neuraltherapie (DGfAN) 1990 gegründet.

Um die Jahrtausendwende konnte die pharmakologische Wirkung aller Lokalanästhetika analog zahlreicher oraler Medikamente am G-Protein-gekoppelten Rezeptor, an spezifischen Enzymen u.a. Rezeptoren (u.a. muscarinerge und adrenerge Rezeptoren) nachgewiesen und in Studien bei akuten und chronischen Entzündungen und Schmerzen belegt werden. Heute werden einerseits die nachgewiesenen Effekte der Injektion analog der Akupunktur, die Effekte auf das Nervensystem (durch die Stichwirkung sowie die nachgewiesene Wirkung aller Lokalanästhetika), die Segmente sowie die vegetativen Nerven wie der Sympathikus diagnostisch sowie therapeutisch in speziellen und allgemeinmedizinischen Praxen am häufigsten genutzt. Die geringe therapeutische Breite erklärt sich durch die o.g. Wirkung am kardialen und zentralen Nervensystem sowie den hepatogenen Abbauprodukten der Lokalanästhetika mit einer Amid-Struktur.

Am besten klinisch steuerbar ist das Ester Procain, welches in der Therapie der schmerzhaften Wunden seit über 100 Jahren, der Therapie der Triggerpunkte seit über 80 Jahren sowie in der Therapie von Entzündungen seit längerer Zeit im stationärem und v.a. ambulanten Management ohne größeres Monitoring erlaubt bzw. vom Gesetzgeber zugelassen ist. Die Allergierate ist nach neusten Studien denen aller Lokalanästhetika gleichzusetzen und nicht höher als andere Medikamente wie Penizillin, Sulfonamide und andere Medikamente. Die schon in jedem Gewebe durch Esterasen entstehenden Spaltprodukte sind für die Effekte an den Gefäßen sowie die Langzeiteffekte in allen Zellen, v.a. Immun-, Hormon- und Nervenzellen verantwortlich und Gegenstand der mitochondrialen Forschung in Deutschland, Europa und zahlreichen Ländern, wo sich zahlreiche Gesellschaften gründeten und im Dachverband IFMANT zusammenarbeiten.